...danach, auf dem Weg aus dem Theater, noch im Foyer, sagte eine einen dieser aspekte-geschulten Sätze: "Seit Foucault kann man das nicht mehr so machen". Solche bistrohaft breiigen Selbstzufriedenheiten sollte man zurückgehen lassen wie einen abgestandenen Prosecco, wenn sie einem nicht immer wieder von Deutschlehrern in Funk + Fernsehen eingeschenkt würden. Wenn nicht Versuche wie dieser, bestimmte Sprachen für ungültig zu erklären, in ihrem häufigen gesagtwerden effektiver wären, als die direkte Repression der Polizei. Und wenn dieser Satz nicht für einen Bruch stände, den L´Amerique mit dem Theater der jngsten Vergangenheit macht.

Denn L´Amerique schlägt eine politische Richtung ein, die im Bordprogramm des postmodernen Raumschiffs, das seit zwanzig Jahren in der immergleichen beruhigenden Selbstreflexionsschleife um den Diskurs kreist, nicht vorgesehen ist. Sätze werden wieder direkt gesagt, auf ein Weise aus dem Steinbruch des beiseite geschobenen abgelagerten und für veraltet erklärten Wissens herausgebrochen, die völlig überraschend ist. Weil es sich um Wissen handelt, dessen Radikalität wieder gebraucht wird. Und man dem Personal dieser Propaganda-Operette, anders als im Theater üblich, abnimmt, dass es diese Sätze auch meint.

Ständig spielt L´Amerique mit Amerika, Amerikkka, Amerikabildern, Amerikaselbstbildern und mit der Frage: wer spricht? Der Titel ist natürlich ein Joke wie das auf der Friedensdemo in London hochgehaltene Schild "Vive la France" - und der Titel eines wuppdichmässigen französischen Hits aus den Siebzigern, den die Theatercrew am Ende des Stücks bringt, wie die Firmen-Unterhaltungstruppe auf einer Incentive-Party zur Hebung des Betriebsklimas. Vermutlich soll der französische Titel auch die Freunde von Walser und Grass davon abschrecken, sich mit ihrer deutschtümelnden Amerikafeindlichkeit darin wieder zu erkennen. So lässt die Regisseurin Martin Luther Kings Amerika warnende Anti-Kriegs Redevon dem afro-amerikanischen DJ L.A.Williams Lippensynchron in die Gegenwart beamen. Überhaupt ist das Stück, wie alle nennenswerten Hervorbringungen hanseatischer Kunst und der neuesten Entwicklungen im Theater, geprägt von einem engen Zusammenspiel mit der hier angesiedelten Musikszene, ihrem Humor, ihrem Stilbewusstsein, und ihrer politischen Radikalität : die erste halbe Stunde des Stücks (nach einem fadenscheinigen Anwerbeverfahren auf der Strasse vor dem Theater), ist ein Konzert der "Les Robespierres", die schon seit längerem brechtsche Theaterelemente in ihre Auftritte einbauen, in denen Klaus Ramcke den arroganten Bandleader, marxistisch gebildeten Ausbeuter und elenden Ich-Unternehmer in einer Person mimt. Den Gegenpart übernimmt Ted Gaier, der neben seiner Tätigkeit bei den Goldenen Zitronen, Ausflügen in Theater und Videoclipregie, mit dem Schwabinggrad Ballett Agit-Prop-Musicals entwickelt, die regelmässig von der Polizei mit illegalen Platzverweisen belegt werden.

Angela Richter gelingt es hier wieder, die kollektive Intelligenz aus den Feldern zwischen Musik, Politik und Kunst auf eine Weise grob brüchig zusammen zu zimmern, der jede bühnenhafte Peinlichkeit fehlt: Bedeutung wird hier ohne jeden Avantgarde Gestus auf eine Weise erzeugt, wie es tolle DJs beim Plattenauflegen tun, oder wie man Kleidungsstücke kombiniert: das Material wird durch Neukombination zum Sprechen gebracht. Dabei werden den SchauspielerInnen extreme Tempo und Charakterwechsel abverlangt: Eva Löbau, eine der professionellen Schauspielerinnen des Stücks, spielt einen Engel, betrügt zum Einstieg in Neweconomynewspeak die Hausband um 40 Euro, spielt die amerikanische Geschäftsfrau aus der Gated Community so überzeugend als sei sie eine kracherte Galeristin aus Baden-Würtemberg, um dann, auf eineer El Lissitzky Lenin Tribühne ausruhend, eine a capella version von Metallica zum besten zu geben.

Am dichtesten werden diese Tempowechsel in den genialen Auftritten von Melissa Logan (Chicks on Speed), die unmittelbar hintereinander eine Reader1s Digest Geschichte des rassistischen Amerikas von den Pilgrim Fathers zum Ku-Klux-Klan als Kinderstunde kommentiert (direkt aus Bowling for Columbine, von Menschen gespielt), um dann abrupt in einen wütenden Punksong zu springen, der den Klassenkampf einfordert, von dort aus in entwaffneder Direktheit die wohl überraschendste Präsentation von Eldridge Cleavers Analysen des "Supermaskulinen schwarzen Knechts" und des "Impotenten Grossen Weißen Administrators" zu bringen, und in einem genialen, didaktischen Degenhardt-Song über Angela Davis und die Soledad Brothers zu enden.Für das Vorwort von "Soledad Brother" suchten die Black Panther in den frühen Siebzigern einen unangefochtenen europäischen Intellektuellen. Schliesslich entschieden sich die Panther, Jean Genet die Einleitung zu den Gefängnisbriefen des 1971 in San Quentin ermordeten George Jackson schreiben zu lassen. Zuvor war jedoch ein junger Philosoph im Gespräch gewesen. Der war Huey P. Newton allerdings zu unbekannt: Michel Foucault.

(c) Christoph Schäfer