Selbstorganisation.


Wolfsburg: Bei einem Besuch der Autostadt zu Beginn des Jahrtausends, präsentierte man in dem „Konzernwelt“ genannten Flügel erstaunliches: eine Abteilung für Wunschproduktion samt Knetbüro; Kinder in Holz-Gokarts umkreisten einen von Claes Oldenburg entworfenen, begehbaren Golfmotor;  an Terminals konnte das deleuzianische Prinzip „Kontrollgesellschaft“ anhand von computersimulierten Arbeitern demonstriert und eingeübt werden; schließlich gabs noch eine Ausstellung zum Thema „Selbstorganisation“: im „Geo“-Stil fotografierte Tierweltprozesse, Ameisennetzwerke, Bienenwaben, Mandelbrotmännchen, Zellverbände, staatenbildende süd-äthiopische Nacktmullen. Hatten Rätesozialisten eine Propagandaschau eingeschmuggelt, um dem Proletariat anschaulich zu machen, dass es nur noch die Konzernspitze beseitigen musste, um sich endlich die Fabrik, die Produktionsmittel, den gesellschaftlich erarbeiteten Reichtum anzueignen?

In den Neunziger Jahren bekam der Begriff „Selbstorganisation“ eine spezielle Bedeutung in der Kunst. Zwar roch er etwas SPD-nörgelig nach studentischem Alternativmillieu und off-szeniger Selbstgenügsamkeit. Drum habe ich mich nicht gefreut, als die Redaktion mich bat, dazu etwas aufzuschreiben – zumal der Begriff auch noch den essentialsmusverdächtigen Wortbestandteil „selbst“ enthält – auweia! Dies mag der Grund sein, wieso S. in Selbstbeschreibungen häufig ironisch gebrochen verwendet wurde, etwa in dem etwas übersehenen, epochalen  Büchlein „Team Compendium – Selfmade Matches“. Wobei „Matches“ hier weniger auf selbstorganisierte Spiele in der Nische, sondern vielmehr auf Streichhölzer anspielte, als die man die eigene Kunstpraxis sah, mit der man das Große Ganze in Flammen zu setzen gedachte.

In Ermangelung besserer Begriffe, lässt sich S. mit einiger Berechtigung verwenden, um eine Kunstpraxis zu beschreiben, der die „Institutial Critique“ schon immer der Institution näher zu stehen schien, als der Kritik, und die die „Relational Aesthetics“ verdächtigte, nur den kunstbetrieblichen Status Quo zu ästhetisieren. „Selbstorganisation“ im Bereich Kunst hieß dagegen: selbst schreiben, selbst die Räume der Kunst organisieren, selbst Heftchen machen, und dennoch die Rolle des Administrators zurückzuweisen. Vom Feminismus hatte man sich abgeschaut, was Künstler ohnehin lieben: beteiligtes Schreiben, organisieren, Heftchen machen. Anders als in den Siebzigern bezog man sich nur in geringem Maße auf Marx, genauso stark auf die Do-it-Yourself Ethik des Heimwerkermarktes und der Independent Musik, auf die Situationisten vor dem Ausschluss der Künstler. Die biologisch-ökologisch-systhemtheoretische Prägung des Begriffs hatte den hohen Grad an Selbstreflexivität zu verantworten, und man betrachtete, als Erbe der Konzeptkunst nach Verlust der Autonomie des Werks, die vermittelnden Tätigkeiten als Teil der künstlerischen Arbeit. Ich hasse solche Listen, aber seisdrum: die Fanzines Dank, Artfan und ANYP, der Friesenwall 120, das vor dem WWW gegründete Computernetzwerk The Thing, die Gruppen minimal club,  Sammlung Brinkmann, Botschaft, Büro Bert, Klasse 2, Akademie Isotrop, das Rahmenprogramm zur Unfair ’92, die Messe2oK, die Projekte b_books, UTV, When Techno Turns To Sounds Of Poetry, Sommerakademie - Eine Akademie auf Zeit, Park Fiction, microstudio surplus, An Architektur.

Die in den Projekten gewonnenen Kampferfahrungen und Netzwerke machten Künstlerinnen und Künstler aus diesem Bereich zu unbequemen Zeitgenossen, die ihre operative Autonomie auch im institutionell organisierten Betrieb durchzusetzen wußten. Das Establishment nun wieder, hat die in diesem Bereich erarbeiteten Themenfelder zunächst marginalisiert, später dann gerne genommen – aber zugesehen, diese mit pflegeleichterem Personal umzusetzen. Dass einige der Protagonisten heute berühmt sind und Einzelpersonen später doch Karriere in der Rolle des Vermittlers im Dienst der Kulturstiftung des Bundes machten, ist so klischeehaft, dass es kaum der Erwähnung wert ist. Interessanter ist vielleicht, dass häufig auch der umgekehrte Weg gegangen wird: Galeriekünstler umgeben sich mit dem Odeur der Selbstorganisation, Erfolgsgalerien finanzieren selbstorganisierte Off-Galerien wo man schon mal ausprobieren kann, ob das Pferd für den großen Ausritt taugt...

Doch sollte niemand auf die Idee kommen, die Selbstorganisation habe ihre Krallen verloren und habe sich als integraler Bestandteil des Neoliberalismus eingemeinden lassen: eine Revolution ist ohne Selbstorganisation nicht denkbar und auch in der noch so effektiv kapitalverwerteten Selbstorganisation glüht, wie in einem Trojanischen Pferd, der Funke der Revolte.  

 

Christoph Schäfer, Glossar/Katalog Skulpturprojekte Münster 2006