Interview mit Christoph Schäfer aus SUPRA 2 http://supra-magazin.net/

 

Supra: Du bist Künstler, du hast an der Durchsetzung und Planung für den Park Fiction mitgewirkt und engagierst dich zum Beispiel beim Aktionsnetzwerk gegen Gentrification ES REGNET KAVIAR und bei NO BNQ. Steht deine Kunst in direktem Zusammenhang mit deinen politischen Aktivitäten?
Christoph Schäfer: Wenn ich zeichne ist mir egal, ob es Kunst oder Politik ist - weil ich versuche, etwas rauszukriegen. Beide Beschreibungen schränken ein, worum es gehen könnte. Aber wenn man mit Kunst sowas meint wie: man möchte seine Mittel reflektieren, man möchte ne andere Sprechweise finden, man möchte die Sachen nicht immer auf die selbe abgedroschene Art formulieren, dann ist das etwas, wo ich sagen würde, das ist sowieso nicht verhandelbar, das muss man einfach machen. Das gehört zur Emanzipation der Menschheit durchaus dazu. Da kann man nicht hinter zurück.
Gerade die aktuelle Bewegung für ein "Recht auf Stadt" bringt beides zusammen. Der Begriff stammt ja ursprünglich von Henri Lefebvre, einem französischen Urbanisten, der mit den Situationisten in Zusammenhang stand. Und der hat einen sehr aufgeladenen Begriff von „Stadt“: „Die Stadt ist der angeeignete Raum“ oder „Die Stadt ist akkumulierte Unterschiedlichkeit“. In  „Die Revolution der Städte“bezieht Lefebvre sich auf einen Satz von Hölderlin: „dichterisch wohnet der Mensch“. Da kommt das zusammen, Stadt, Kunst, als Dichter zu wohnen: Wo auch immer du dir einen Gegenstand in deine Wohnung stellst, der über das direkte Zweckmäßige hinausgeht, der mit irgendeiner Vorstellung, mit Wünschen zusammenhängt, wirst du dichterisch tätig. Und da ist man natürlich bei sowas wie Aneignung des Lebens. Ein Skateboarder macht ja genau das: Indem er an einer Stelle entlangfährt, die für etwas bestimmtes gedacht war, und dann denkt er sich nen Trick dafür aus, wird es verwandelt für den Moment. Ein Betonkübel oder ein Treppengeländer - die ganze Stadt wird neu definiert. Oder mit Graffiti wird ´ne Wand, die zweckmäßig sein sollte, zu ner Aussage. Man kann schon sagen, die Stadt wird da ganz schön in Dichtung verwandelt.

Supra: Dichtung, für die man auch ganz schön Ärger kriegen kann. Hingegen geschätzt sind kreative Regungen, die sich gern mal vor den Karren der „Aufwertung“ spannen lassen. Bei ES REGNER KAVIAR arbeitet ihr auch mit künstlerischen Mitteln. Besteht nicht die Gefahr, selbst zu einem „Aufwertungs“-Faktor zu werden?
Christoph Schäfer: Das ist natürlich eine ganz reale Gefahr. Von daher sollte man auch vorsichtig sein. Nicht so sehr, ob man künstlerische Mittel benutzt, aber ob man es so nennt. Bei ES REGNET KAVIAR hat bisher noch keiner davon geredet, dass das ne Kunstgruppe wäre, aber es stimmt, irgendwie spielt das ne Rolle. Da werden unkonventionelle Mittel genutzt und es kommt schon stark darauf an, wo man die einsetzt. Ich finde, in St. Pauli Süd hat man es mit Gegnern zu tun, wo die Stufe, da das noch gewissermaßen erwünscht ist mit der Kreativität, möglicherweise schon überschritten ist. Da ist schon eine andere Art der Kultur gewollt. Eine Galerie wäre schon gerne gesehen, aber sowas wie wir es machen oder was der Golden Pudel Club macht, das stößt ja plötzlich dauernd an Grenzen. Plötzlich darf hier kein Konzert mehr draussen gemacht werden, weil es jetzt Nachbarn gibt, die einen guten Draht nach oben haben und sich beschweren. Letztendlich ist das eine Frage, die man nur konkret, aber nicht pauschal beantworten kann.
Ich glaube nicht, dass die Kunst jetzt plötzlich Schuld ist, aber sie ist ein Problem in dem Moment, wenn sie anfängt, sich an eine bestimmte Kundschaft zu wenden, diese herzuziehen.
In Wilhelmsburg finde ich es dramatischer, weil es da im Moment darum geht, die Mittelschichten anzulocken. Die Frage ist eher, an welche Klasse sich Kunst richtet und welche ausgeschlossen wird. Macht man ne Form von Kunst, die schon wieder zu so ner komischen Herrschaftslogik führt oder sich nur an Insider richtet oder schafft man es mal, was hinzukriegen, was so n klassiches Kunstpublikum sowieso zu direkt findet und damit gar nichts anfangen kann. Humor zum Beispiel ist nicht unwichtig.

 

Supra: Der CDU-Senat propagiert seit 2001 das Leitbild „Metropole Hamburg – Wachsende Stadt“, nach dem auf Kosten der ärmeren Bevölkerungsschichten aus Hamburg eine Marke entstehen soll, die sich in Konkurrenz zu Marken wie Berlin, London oder New York befindet. Ist das nicht totaler Irrsinn?
Christoph Schäfer: Das Problem an diesem neoliberalen Stadtmodell ist, dass es einigermaßen verführerisch ist. Man baut Symbole wie die Elbphilharmonie, mit denen sich offenbar ein gewisser Teil der Bevölkerung identifizieren kann, besonders die, die so n bisschen Geld haben und die auf sowas stehen nach dem Motto: „Oh Hamburg, ein Symbol, unser Eiffelturm, unsere Oper von Sydney“, so in dem Stil. Diese Leuchtturmlogik sozusagen. Die Stadt wird dem Standortdenken, dem Standortmarketing unterworfen und immer mehr reduziert auf MARITIM - MEDIEN - TALENT, was haben wir noch: TECHNOLOGY. Das sind so die Punkte. Und neuerdings haben sie auch noch die KREATIVITÄT aufm Zettel, weil alle dieses Buch von Richard Florida gelesen haben, The Rise of the Creative Class.

Klingt ja fürchterlich.
Ja, aber das hat garantiert auch der Bürgermeister von Braunschweig gelesen. Ein Problem ist, dass nicht bekannt genug ist, welche politischen Großentscheidungen getroffen worden sind, die die derzeitige Stadtentwicklungspolitik befördern. Dazu gehört zum Beispiel das Höchstgebotsverfahren. Das klingt erstmal neutral, bedeutet aber, dass jedes Stück Land, das die Stadt veräußern will, an den Höchstbietenden verkauft werden muss. Die Finanzbehörde hat also immer das letzte Wort. Es ist nicht mehr so, dass eine Stadtentwicklungsabteilung sagt: „Wir möchten hier diese Form der Stadtentwicklung haben, hier möchten wir noch n bisschen Wohnen haben oder Häuser erhalten“ oder das Denkmalschutzamt mischt sich ein oder die Kulturbehörde vielleicht mal. Nee, unterm Strich sagt immer die Finanzbehörde: „Da kommt jemand, der legt ´ne Million mehr aufn Tisch. Und der kriegt das auch.“

Das heisst, die Stadt hat sich selbst ihren Handlungsspielraum genommen durch das Höchstgebotsverfahren.
Absolut. Das beschleunigt dann auch so absurde Geschichten wie beim Gängeviertel, das ist über das Höchstgebotsverfahren für irgendeine fantastische Summe übern Tisch gegangen. Und dann haben sie dem Investor erstmal alles erlaubt, der hätte da alles weghauen können. Das ist so ein Ort mitten in der Stadt, wo durch die Bestzung klar geworden ist, dass da was anderes passieren kann.

Zumal 500 Meter weiter ja schon genug Büroraum vorhanden ist.
Man darf sich schon fragen, warum muss die Hamburger Innenstadt unbedingt  langweilig werden? Das Höchstgebotsverfahren ist ein hamburgspezifischer neoliberaler Trick, alles auf die Wirtschaft zu reduzieren, auf die Wirtschaftlichkeit und auf den höchsten Betrag, den man da so rausholen kann. Das ist ja eine Entscheidung, die so ´ne Stadt trifft. Hamburg allein kann sicher nicht alles lösen, aber grundsätzlich denke ich, eine Stadt könnte sich ja auch überlegen, dass billige Mieten ein Standortfaktor sein könnten und Menschen hier leben können.

Die Investoren Köhler & von Bargen stehen mit ihrem Bernhard Nocht Quartier (BNQ) vor der Tür. Ist es nicht schon zu spät, um das noch zu verhindern?
Ich finde nicht, dass es zu spät ist, weil ich denke, dass man immer einen neuen Ansatzpunkt finden muss, je nachdem wie die Stadt gerade ist.

 

Gegen die Pläne von Köhler & von Bargen hat sich eine Nachbarschaftsinitiative – NO BNQ gegründet. Nun ist man von „Häuserkämpfen“ eine ganz andere Symbolik gewohnt, ihr  bedient euch hingegen bunter Wimpel und einer Sprache, die für viele verständlich und nicht so abschreckend ist.
Das liegt an der Vielfalt und Ausgebufftheit der Nachbarschaft. Ich würde es aber eigentlich noch umgekehrt formulieren. Ich finde es sogar wichtig, dass man vielleicht mal Sprachen verwendet, die nicht sofort jeder versteht, und sich das nicht verbietet. Das kann ja schon mal was Kryptisches sein, an dem man erstmal knacken muss. Zum Beispiel haben wir überlegt, wie nennen wir das denn jetzt? „Ach komm, NO BNQ – gute Idee!“ Und als Margit die Idee mit dem gelben Wimpel hatte, da hiess es erst: „Nee, weiß nich, das funktioniert nicht.“ Aber es hat funktioniert. Genau dieses Kryptische da dran, das Rätselhafte hat dazu geführt, dass man dauernd Fragen gestellt bekommen hat, was das denn jetzt zu bedeuten hat, weil in der Straße 10, 20 Wimpel hängen, auf denen NO BNQ steht. Plötzlich waren praktisch alle, die in der Straße wohnen, in Gespräche involviert. So bekam dieser ganze Prozess, nur weil er eine Schwierigkeitsstufe mehr hatte, ne völlig andere Dynamik.

 

Ja, die Wimpel funktionieren.
Wir kriegen auch oft Feedback von Leuten, die glauben, dass sie politisch sehr gewieft sind, die sagen: „Nee, also das muss man direkter formulieren, das versteht doch niemand.“ Aber ein Satz oder ein Bild, das sich sofort auflöst, ich sag mal ne Faust mit nem Haus, das hätte nicht die Wirkung gehabt. Du musst da keine Sekunde lang drüber nachdenken. Da ist man schon eher bei dem, was wirklich das Geschäft von künstlerischer Arbeit im weitesten Sinne ist, zu sagen: Hey, neue Perspektiven, die Sachen anders betrachten!
Ich finde es auch wichtiger, dass man mal überlegt, wie man dahin kommt, auch mal wieder über Ideen zu reden, über Vorstellungen, wie man leben möchte. Wenn man das dann zusammen formuliert, das ist verblüffend und auch total begückend. Man kann nicht von vornherein sagen: „Wir müssen uns die Häuser nehmen und besetzen und sofort an die Front.“ Kann sein, dass es dazu kommt, aber so ein politischer Prozess ist etwas, wobei man gegenseitig was voneinander lernt. Man muss neugierig sein auf Leute, die von nem anderen Planet kommen und hier ihr Wissen einbringen. Dann kann es auch zu etwas total Unerwartetem führen. Diese Demo im Juni unter dem Motto „Recht auf Stadt“ war zwar nicht so groß, wie wir uns das gewünscht hätten, aber sie war vom Spektrum unglaublich vielfältig. Es gab zum Beispiel niemanden, der zum Realmarkt was sagen konnte und dann kam eine ehemalige Verkäuferin ans Mikro und hat spontan eine Rede gehalten. Zu sowas kommst du nicht, wenn du da mit nem schwarzen Block ankommst. Zu sowas kommst du aber auch nicht, wenn du da mit zehn einheitlichen Parteifahnen stehst. Da wird nie jemand sagen, “jetzt kommt´s auf mein Statement an.“

 

Was passiert, wenn NO BNQ Erfolg hat und die Investoren sich zurückziehen?
Das kann ich jetzt noch nicht sagen.

Bildet sich dann doch eine elitäre Gruppe, die bestimmt, was hier passiert oder bleibt es hier bunt und alle können mitmachen?
Die Gefahr sehe ich gar nicht: No BNQ ist eine ganz neue Nachbarschaftsgruppe - alles Leute die sich vor 3, 4 Monaten kaum gekannt haben, sehr unterschiedlich. Und wozu diese Gruppe in der Lage ist - das hätte ich mir im März noch nicht träumen lassen, das ist beeindruckend. Aber so ein Prozess ist natürlich langwierig - und es ist Arbeit, den offen zu halten. Bei Park Fiction war es zum Beispiel so, dass die Beteiligung viel größer war solange es noch darum ging, an dem Ort Investorenarchitektur zu verhindern. Als wir den Park durchhatten, war die Wunschproduktion nicht mehr ganz so vielfältig. Auf der anderen Seite ist es schon so, dass sich durchgängig viele Leute mit Park Fiction identifizieren, weil man den Prozess offen und transparent gehalten und sich weiter oppositionell verhalten hat und es der Stadt nie gelungen ist, den Park ganz zu vereinnahmen. Die Tourismusabteilung findet den natürlich gut, aber bei anderen ist das sicher nicht so. Weil Park Fiction ein Referenzbeispiel dafür ist, dass man hier auch was anders machen kann. Er ist ein richtiger Stachel in diesem ganzen Elbuferkommerzscheiss geblieben. Bei NO BNQ werden wieder andere Formen gesucht, dass viele Leute sich daran beteiligen können und dadurch auch was Aufregendes entsteht.

 

Wie sieht denn die Wunschproduktion für die Bernhard-Nocht-Straße aus? Wenn man sich die Häuser ansieht, ist ja augenfällig, dass da was gemacht werden muss.
Genau, die müssen repariert werden. Das finden wir alle - und das wissen wir, weil Nachbarinnen sich mit sämtlichen Nachbarinnen unterhalten haben. Gut an solchen Orten ist doch immer, dass man die Chance hätte, modellhaft zu definieren, was so Probleme sind in nem städtischen Gefüge, das aufzunehmen und neue Wünsche da drin zu formulieren. Viel dringlicher als früher ist die Wohnungsfrage. Das ist richtig Konsens – wir wollen, dass da Sozialwohnungen entstehen. Einerseits. Dann gibt´s aber hinten diese Räume, in denen man ganz andere kulturelle Sachen entwickeln könnte.  Sieh dir als Beispiel das Centro Sociale im Karoviertel an, das ganz frisch von neuen Leuten definiert wird. Da kommt eine interessante Zusammensetzung raus, von Handarbeiten bis zur politischen Diskussionen, getragen von einem ziemlich großen Spektrum von Leuten, die sich da treffen und das als ihre Sache sehen. Das muss man auch erstmal als enorme Fähigkeit sehen, Räume zu definieren, neu zu organisieren.

Der Kampf gegen Gentrifizierung in Hamburg hat sich verändert. Zum einen bringen sich immer mehr Leute aus den verschiedensten Bereichen ein und zum anderen kann man beobachten, dass auch über die Stadtteilgrenzen mehr zusammengearbeitet wird.
Ich glaube auch nicht, dass das noch so isoliert geht. Eine Idee ist, die „Wachsende Stadt“ mit Projekten zu umstellen. Mich freut extrem, dass versucht wird, sich stadtteilübergreifend, ja fast hamburgweit zu organisieren zu dieser Demonstration „Die Stadt gehört allen“ und zu den Workshoptagen „Recht auf Stadt“. Das Problem ist halt, dass Gentrifizierung in jedem Viertel total spezifisch abläuft. Hier in St. Pauli Süd wurde das mit der ganz groben Kelle erledigt, das ist ja gar nicht so schleichend gelaufen. Durch das  Rotlichtviertel hatte das hier auch immer einen ganz anderen Charakter. Hier gab´s immer Gebiete, die keiner anfasst, wo man sich auch nicht so ohne weiteres mit jemandem anlegt.
Jetzt bekommt das eine ganz andere Breite, weil viel mehr Leute betroffen sind. Da ist vor allem die Wohnungsfrage, die wahnsinnige Ausmaße annimmt. Dadurch wird dieses spezielle  Alltagsleben, das man hier haben konnte, gefährdet. Ein ganzer Lebensstil ist dadurch infrage gestellt. Im Moment finde ich spannend an den Dingen, die sich zusammengebraut haben, dass in diesen ganzen Diskussionen um Subkulturen, Kreativität und Kunst die soziale Frage wieder  aufgetaucht ist. Wenn man das beides wieder zusammenkriegt und das nicht so auseinandergerechnet wird, dann hätte man ne Chance. Meines Erachtens ist das auch unvermeidlich auf die Dauer.

Warum?
Die Produktion ist wieder in die Stadt zurückgelaufen. Selbst jemand, der ein schönes Graffiti irgendwo hinsetzt, der eine neue Perspektive erfindet oder eine neue Lebensweise, der schafft ja tatsächlich Mehrwert. Wir sind mit unseren komischen Tätigkeiten wie Schreiben, Interviews führen, Heftchen machen, Räume definieren wieder ins Zentrum gerückt und nicht mehr so Teil der Unterhaltungsbranche wie früher. Umgekehrt ist das ja auch nicht mehr auseinanderzurechnen. Wenn ich mir die Interaktion im Internet ansehe, da ist kaum noch auszumachen, wo ist Freundschaft, wieviel davon ist Beruf… Der städtische Raum bekommt so eine unglaubliche Bedeutung, weil er unser Produktionsort ist. Undzwar für immer mehr Leute, nicht nur für eine kleine Schicht. Mehrwert wird nicht nur an den Ingenieursfakultäten oder in den Betreiben geschaffen, sondern in den Städten. Das ist der entscheidene Punkt im Kapitalismus im Moment. Und deshalb finde ich, dass der Begriff „Recht auf Stadt“ ganz zentral ist. Wenn wir sagen, wir müssen hier für Räume kämpfen oder dafür, dass es billig ist, dann ist das das, was vor hundert Jahren eine Lohnauseinandersetzung in der Fabrik war. Die Stadt ist unsere Fabrik.

Vielen Dank für das Interview!

Charly Traktor / Lucas Flasch / Fortboy

 

Christoph Schäfer  [www.saloon-la-realidad.com]